Universität Bielefeld 7.07.2000
Technische Fakultät
Sommersemester 2000
Seminar: Kommunikation
Veranstalter: Prof. Ipke Wachsmuth
Referentin: Anja Amelina
Thesenpapier zum Referat:
Der Kommunikationsbegriff in N.Luhmanns Theorie der sozialen Systeme
a) Kommunikation ist als das Letztelement bzw. die spezifische Operation der sozialen Systeme zu verstehen, weil diese sich mit der Kommunikation konstituieren.
"Unter einer Operation versteht man die Reproduktion eines Elements eines autopoietischen Systems mit Hilfe der Elemente desselben Systems" (Baraldi, Corsi, Esposito, 1998: 123).
Die eigene spezifischen Operationsweise (Autopoiesis) setzt die operative Schließung des Systems voraus: die Fähigkeit, an jede Operation eine neue Operation desselben Systems anzuschließen. D.h., für die Reproduktion des Systems werden nur systemspezifische Operationen und keine anderen verwendet. Aber "Reproduktion heißt (…) nicht einfach: Wiederholung der Produktion des Gleichen, sondern reflexive Produktion, Produktion aus Produkten" (Luhmann 1999: 79).
b) Da jede Kommunikation eine interne Operation eines sozialen Systems ist, gibt es keine Kommunikation zwischen einem sozialen System und seiner Umwelt.
Die Grenzen eines sozialen Systems zu seiner Umwelt werden durch seine Operationen definiert. Mit der Operation der Kommunikation konstituieren sich die sozialen Systeme in Differenz zu ihrer Umwelt. Der Bezug auf die Umwelt hat für die Operationen des Systems keine Bedeutung: für das System gibt es in der Umwelt keine systemadäqate Information - nur Irritation.
c) Kommunikation ist nicht als Informationsübertragung, sondern als Informationsproduktion zu verstehen, weil im Falle der Kommunikation es sich um die Selbstbestimmung der inneren Zustände des Systems anhand der eigens eingeführten Unterscheidungen (= Informationen) handelt.
Als Operation stellt eine Kommunikation die Synthese dreier Selektionen dar: die Einheit aus Information, Mitteilung und Verstehen.
a) Information ist dabei als die Selektion aus der Reihe der bekannten und unbekannten Möglichkeiten zu verstehen. Wichtig ist, daß Information im Kontext der Theorie der sozialen Systeme nicht als eine vom Absender zum Empfänger übertragene konstante Einheit, sondern als eine Unterscheidung behandelt wird. So erscheint etwas als Information im Unterschied zu dem, was erwartet wird. Information wird durch die Unterscheidung erzeugt. Die erzeugte Differenz löst immer wieder die Veränderungen des Systems aus, die als Antwort auf die vorige Differenz und auf die dadurch hervorgerufenen Restrukturierungen zustande kommen.
b) Als anderer selektiver Moment der Kommunikation ist die Mitteilung als Selektion des Mitteilungsverhaltens zu verstehen. Entscheidend ist vor allem für die Kommunikation, daß der Adressat Ego in der Lage ist, das Mitteilungsverhalten des Alters von der mitgeteilten Information zu unterscheiden.
c) Die Unterscheidung der Selektionen - Information und Mitteilung - heißt Verstehen und ist das dritte selektive Moment der Kommunikation. "Kommunikation kommt nur zustande, wenn diese zuletzt genannte Differenz beobachtet, zugemutet, verstanden und der Wahl des Anschlußverhaltens zu Grunde gelegt wird. Dabei schließt das Verstehen mehr oder weniger weitgehende Mißverständnisse als normal ein…" (Luhmann 1999: 196).
Das Verstehen erzeugt die Möglichkeiten der Annahme oder der Ablehnung einer Kommunikation, d.h ihre Anschlußfähigkeit. Die Anschlußfähigkeit bedeutet die Möglichkeit der Fortsetzung der Kommunikation, also die Möglichkeit der Reproduktion des sozialen Systems.
2. Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation
a) Aufgrund der möglichen Ablehunungsentscheidungen (gegenüber der Kommunikation) und der Vielzahl von anderen Hindernissen ist es relativ unwahrscheinlich, daß Kommunikation zustande kommt.
Da Sinn nur kontextgebunden und aufgrund von individuellen Erfahrungen verstanden werden kann, ist es zunächst ziemlich unwahrscheinlich, daß der Adressat den Mitteilenden überhaupt versteht. Außerdem ist auch die Unsicherheit über das Erreichen des Adressaten der Kommunikation vorhanden, die aus räumlichen und zeitlichen Hindernissen hervorgeht. Auch der Erfolg der Kommunikation ist ziemlich unwahrscheinlich: es gibt immer die Möglichkeit der Ablehnung des Verstandenen. Kommunikation wird als erfolgreich definiert, wenn der Adressat sein Verhalten, Erleben und Verarbeiten weiterer Information durch den mitgeteilten Inhalt leiten lässt. Diese Unwahrscheinlichkeiten müßten die Aussichtslosigkeit und das Unterlassen der Kommunikation bedingen. Zugleich determiniert das Vorhandensein der Unwahrscheinlichkeiten und die Art ihrer Transformation in Wahrscheinlichkeit den Aufbau der sozialen Systeme.
b) Der Prozeß der soziokulturellen Evolution (=Produktion unwahrscheinlicher Strukturen) wird als Umformung und Erweiterung der Chancen für aussichtsreiche Kommunikation begriffen, weil es im Laufe der Evolution immer wieder zum Verhindern der Kommunikation kommen kann.
Als Überwindung der kommunikativen Unwahrscheinlichkeiten haben sich im Laufe der soziokulturellen Evolution drei Arten der Medien herausgebildet, die jede ihrer Funktion nach die Transformation des jeweiligen Typs von Unwahrscheinlichkeit in Wahrscheinlichkeit erlaubt.
3. Computer als Medium der Kommunikation
a) Der Computer ist den Verbreitungsmedien zuzuordnen, weil er die Situationen ermöglicht, in denen physisch abwesende Adressaten erreicht werden.
Ein Medium stellt eine lose Kopplung von Elementen dar, die die Durchsetzung der Formen von außen erlaubt. Als Medium ist etwas in Bezug auf die durchsetzende Form zu verstehen.
Verbreitungsmedien machen die Technologie verfügbar, die die Verbreitung der Kommunikaion über die Wahrnehmungsgrenzen hinaus ermöglicht.
b) Frage: Wie verändert sich die Kommunikation, wenn Maschinen leistungsfähiger werden?
Verwendete und weiterführende Literatur:
Baraldi, C., Corsi G., Esposito E., 1998: GLU. Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, 2. Aufl., Frankfurt am Main
Luhmann N., 1999: Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie, 7. Aufl., Frankfurt am Main: 30-92, 191-242.
Luhmann N., 1998: Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1. Aufl., Frankfurt am Main: 302-312